Weinbergstrasse 11, Zürich
1988–1989

Die Vorgeschichte

Beim Umbau des ersten, grossen Bazillus-Musikrestaurants (Stampfenbachstrasse 8), wurden 1979 vom Hausverwalter Fredy Ulrich in einem Zwischengeschoss Räumlichkeiten für die Bauleitung bereitgestellt. Diese lagen unterhalb des Kino Capitol. Der Raum war ursprünglich die Werkstatt für die Bühnenbildner des ehemaligen Capitol-Theaters und verfügte über zwei Toiletten.

Wir konnten diesen Raum dank Duz-Freund Fredy zwischen 1983-1987 als Wohnatelier benützen. Der Raum war ab 23h, wenn das Pornokino «Capitol» im oberen Stock dicht machte, absolut sturmfrei! Das war zu der Zeit, als der Bazillus im Hotel Hirschen noch in Betrieb war. Dieser Loft diente uns ab 23h also nicht nur als Proberaum, sondern auch als Ort um mit den Musikern nach ihren Gigs im Hirschen abzuhängen = absolut paradiesisch für Kreative. Partytime!

1987 kam von Fredy leider die Mitteilung, dass der Kinobetreiber Erwin C. Dietrich in unserem coolen Übungs- und Vergnügungsraum weitere Kinosäle einbauen wolle. Die Baugenehmigung verzögerte sich aber noch um fast zwei Jahre. Wir fanden zum Glück eine Atelierwohnung am Stauffacherquai.

Zur gleichen Zeit mussten wir 1987 den «Bazillus Hirschen» aus politischen Gründen schliessen und ich musste doch irgendwie für all die lieben, jungen Musiker etwas unternehmen, die nun wieder einmal mehr auf der Strasse standen. Den Bazillus-Workshop an der Ausstellungsstrasse 21, den wir ja seit 1979 noch als Probelokal in Betrieb hatten, war noch nicht genügend ausgebaut, und der Vermieter Arthur Attinger wäre auch nicht einverstanden gewesen, in seinem Kellerkokal einen illegalen Klub zu tolerieren. 

Anne kam auf die Idee, dass wir in den Capitol-Räumen bis zum Beginn des Umbaus einen Klub einbauen könnten… Wir fragten Fredy, ob wir da noch eine Weile «Atelier-Feste» machen könnten. Er war einverstanden und wir konnten den Raum weiterhin benützen und er hatte die Miete für fast zwei weitere Jahre.

Die beiden Liegenschaften Weinbergstrasse 11 und das vordere Haus an der Stampfenbachstrasse 8 waren im Besitz von  Max Bircher. Er war gehörlos und wohnte im obersten Stock des Capitol-Gebäudes. Bircher war sehr liebenswürdiger, alter Herr, der in seinen jungen Jahren im vorderen Gebäude, also im ehemaligen Bazillus-Musikrestaurant, Buchhalter war. 

Fredy Ulrich wohnte in der Innerschweiz und war über das Weekend nicht im Capitol-Haus. Ausser dem gehörlosen Besitzer war also nachts niemand in dieser Liegenschaft und so war dieser versteckte Raum genau das richtige für unser Vorhaben, einen Live-Musikclub zu eröffnen. 

Die Idee des Club-Namens «B-Flat« kam von Anne. In Proben hatte ich diese Tonbezeichnung immer wieder gehört und zudem war es ja auch mal «Beat’s Flat». Mit der Hilfe von einem Zimmermann, den ich in der «Straycat-Bar» kennen gelernt hatte, bauten wir schnell eine Bar und ein paar Stühle und Tischchen kamen dazu.

Das Eröffnungsdatum haben wir leider vergessen. Es war entweder schon Ende '87 oder im Frühling '88. Auch über die Anzahl der Sessions habe ich nicht Buch geführt. 

Natürlich hatten bestimmte Behörden dann doch Wind von der ganzen Sache bekommen.

Mittlerweile entstanden in der ganzen Stadt illegale Bars; eine nach der anderen und die Wirtschaftspolizei musste Personal aufstocken. Die Beamten schickten verdeckte, zivile Spione (mit Freizeitjacken-Tarn-Outfit, die für jede Stadtratte sofort erkennbar waren…) in ganz bestimmte Szenerestaurants, um herauszufinden, ob es da verdächtige Flyer gab. Wir hatten keine Flyer. Bei uns funktionierte noch das uralte «Buschtelefon». Trotzdem: Eine übereifrige Journalistin eines neuen Szene-Blattes wusste nichts besseres, als im Sommer 1988 den Lesern mitzuteilen, dass Kennel vom Bazillus an der Weinbergstrasse 11 (genau so geschrieben) einen illegalen Klub habe! Die Wirtschafts-Polizei rückte mehrmals aus und schaute nach, ob irgendwelche Velos vor der Hausnummer Weinbergstrasse 11 standen (das hatten uns diese Beamten später erzählt!). Nichts weit und breit! Die Eingangstüre war an der Stampfenbachstrasse 8 im Hinterhof, und darauf wären die nie gekommen. 

Im September 1988, an einem Bettag, kam dann doch noch ein Beamter der Wirtschaftspolizei von seinem Niederdorf-Kontrollgang an diesem Hinterhof vorbei. Dummerweise hatten wir gerade Lüftungspause und schon hatte sich sein Detektiv-Hirni eingeschaltet. In einem nachträglichen, internen Protokoll von der WiPo, das mir später ein Polizist der Feuerpolizei bei einer Besichtigung gezeigt hatte, stand: «Nachdem ich junge Leute in einer Türe verschwinden sah, drückte ich auf einen versteckten Knopf und so öffnete nach einer Weile ein langhaariger junger Mann die Türe und schaute mich an. Er ließ mich wahrscheinlich auf Grund meiner Frisur nicht rein…». Der Feuerpolizist kugelte sich vor lachen. Die Feuerwehr hat die coolsten Polizisten, denn sie retten Leben und verteilen keine Bussen. Er war mit den Notausgängen sehr zufrieden. Das B-Flat lag am unteren Ausgang des Capitol-Kinos und der Notausgang war für 200 Personen ausgelegt. Der WiPo-Beamte schaffte es dann aber doch noch, mich zum Klubeingang runter zu holen. Ich erklärte ihm die Geschichte mit den Atelierfesten… Es kam dann doch noch eine Busse von 170.- . Wir haben dann eine Weile wöchentlich nur an Dienstagen eine Session veranstaltet, bis die Luft rein war. Dann wieder freitags und samstags.

Im Spätherbst '89 stand eines Abends uniformierter Mann im Eingangsbereich. Wir hielten ihn für einen Securitas oder einen Leutnant im Ausgang. Dem war leider nicht so. Wir hatten einen Beamten des Finanzamtes vor uns - er wies sich mit einer Visitenkarte aus! Die schickten sage und schreibe solche in Fantasie-Uniformen verkleidete Leute in die illegalen Klubs, um die Betreiber darauf aufmerksam zu machen, dass es jetzt teuer werde, weil hier Geld am Fiskus vorbeigeschleust würde. Ich hatte diesbezüglich schon die Erfahrung gemacht: «don’t fool around with the Finanzamt« ! Ich sagte ihm, ich hätte in der Steuererklärung die Ein- und Ausgaben von unseren Atelier-Festen angegeben und den Gewinn versteuert. Der Beamte war völlig verdutzt. Er werde das dann schon kontrollieren und verschwand wieder. Ich bekam nie eine Busse. Es hatte funktioniert, denn ich hatte die Wahrheit gesagt. Mit dem Gewinn im B-Flat konnte ich für die Ausstellungsstrasse einiges an Material und Geräten kaufen.

Kurz vor Schluss erwischte uns die WiPo ein zweites Mal und diesmal kostete es zirka Fr. 700.-. Ich zeigte dem Beamten den letzten Flyer und da waren noch 7 Abende eingetragen. Er ließ uns diese Abende noch machen. Er kannte den ehemaligen Hirschen-Bazillus und verstand einfach nicht, dass ich wieder illegal agiere. Ich sagte ihm: «entweder legal oder illegal; beides geht nicht, so wie WIR uns das vorstellen…»

Daraus entstand später der Ausdruck «legal, illegal, scheissegal».

Für Andreas Müller und mich war es von Anfang an relativ einfach genug Publikum ins B-Flat zu locken. Meine Telefonate an die jüngere Generation von Musikern, die in den vorgängigen Bazillus-Klubs ihre Sporen abgewetzt hatten, hatten genügt. Unser Kassier war übrigens «Erich«, und an der Bar war meistens die beliebte Französin «Martina«.

Als Basic-Lineup organisierte ich immer einen Bassisten, einen Gitarristen oder einen Keyboarder. Und dann war da noch eine alte WEM-Gesangsanlage aus alten Bazillus-Zeiten. Ansonsten Bass- und Guitar-Amp plus 3 Mikrofone. Ich spielte jeweils, wenn ab 23 Uhr noch kein Drummer aufgetaucht war, und schaute gleichzeitig immer, wer neu reinkam. Sobald ich den ersten Augenkontakt mit einem Drummer hatte, winkte ich ihm. Die Übergabe fand statt, während gespielt wurde. Meistens wurde Funk und Jazz gespielt. Manchmal auch Rock. Es kamen auch ab und zu ganze Bands vorbei nach ihren Gigs (siehe Liste). Leider hatte ich nirgends aufgeschrieben, wer wann gespielt hatte. Die Sessions gingen ab 23 Uhr bis früh am Morgen und nachträglich ging es dann meistens ins Bahnhofbuffet zum Frühstück. Es wurde viel Alkohol getrunken damals. Wir hatten aber nie eine Schlägerei. Joints waren damals noch nicht so stark vertreten.

Unvollständige Liste von Musikern, die mir momentan in den Sinn kommen. Musiker; bitte meldet Euch, wenn Euch noch ein paar Kollegen/innen einfallen, die auch gespielt hatten!

Bekannte Musiker, die spielten:

Sal Nistico (ts) (Woody Herman, Count Basie, B. Rich) 
Glenn Ferris (tb) (Don Ellis, Zappa Grand Wazoo, Cobham)

Nistico und Ferris hatte ich zu diesem Zeitpunkt im Artag Studio Zürich (Bazillus-LP-Produktion «Extemporaneous»). Das wurde eine der heißesten Sessions im B-Flat No 1! Jojo Mayer spielte geil, aber auch hart und sehr laut. Aber eben, der Hausbesitzer war gehörlos…

Bill Saxton (as)

Für Bill organisierte ich einen Workshop. Ich kann mich nicht erinnern, wie der ins Spiel kam… Auf alle Fälle fand zuerst eine Probe im Bazillus-Workshop an der Ausstellungsstrase statt. Ganz sicher dabei; Jojo Mayer (dr), Chris Wiesendanger (keys) und Herbie Kopf (b).

Andersen-Formanek-Burrage

Ray Anderson (Slickaphonics) war an diesem Tag mit anderen Amerikanern im Radiostudio Zürich. Er spielt schwierige Kompositionen von Daniel Schnyder (Black Pages…)… und musste nach diesem harten Job unbedingt irgendwo „Kies abladen“. Im Schlepptau waren Bassist Michael Formanek und Drummer Ronnie Burrage.

Ich kannte Ray Anderson von einem Triogig im Bazillus (1985). 

Zuerst genehmigten sie sich ein paar schnelle Drinks und dann ran an die Instrumente.

Die Leute merkten sofort, dass das bekannte Musiker sein mussten. Die legten tierisch los und viele Jahre später erzählten die Musiker noch von diesem Auftritt.

New Ghost (Philadelphia, USA)
Elliott Levin (sax, voc)
Rick Iannacone (g)
Steve Testa (b)
John Testa (dr)

Durch den Jamaaladeen Tacuma-Gitarristen Rick Iannacone hatte ich damals Elliott Levin kennen gelernt. Levin war mit seinem affenscharfen Underground-Quartet New Ghost 1989 in Bern (von Hermann Bühler organisiert) aufgetreten und kam anschliessend um 3 Uhr morgens ins B-Flat!

Auch hier: Ab dem ersten Ton «voll Rohr».

Bekannte Musiker, die den Klub privat besuchten, aber nicht spielten:

Johnny Griffin kam ziemlich angeheitert direkt von der Widderbar und schwärmte: «This looks like the speakeasy's  to me in the fifties, man! »

Abdullah Ibrahim (Dollar Brand) gefiel der Laden überhaupt nicht. Er sagte nur; «… the Zurich people are crazy!».

Eddie Harris war wegen einem Gig in Zürich, und Anne kam mit ihm in das B-Flat. Er schaute sich das mit Interesse an und verschwand dann aber relativ schnell wieder, weil er andertags einen Gig hatte. 

Am Samstag, 25. Juni '89, spielte Jeseph Bowie mit seiner Gruppe Defunkt im Bazillus-Workshop  an der Ausstellungsstrasse. Biggi Brunner hatte das Konzert organisiert. Andreas öffnete währenddessen das B-Flat. Dann fragten wir die Musiker nach dem Gig, ob sie noch ins B-Flat kämen. Ein grosser Teil des Konzertpublikums pilgerte also rüber ins B-Flat. Ich glaube, Kenny und Ronny gingen an die Instrumente. Später kam nach ein paar Drinks auch noch Kim auf die ebenerdige «Bühne». Josef schaute zu und amüsierte sich.

 

Josef Bowie’s Defunkt
Joseph Bowie (tb, voc)
Kim Clarke (b) (Defunkt)
Kenny Martin (dr) (Defunkt)
Ronny Drayton (g) (Defunkt)

In der zweiten Woche Juli 1989 hatten wir den Klub geräumt.

Fazit

Ein legales «B-Flat» hätte sicher zwischen 500-800'000.- Franken gekostet: Einbau einer Lüftung, mehr Toiletten, Bareinrichtung, Aufenthaltsräume/WC/Dusche für drei Angestellte, ein Wirte-Patent, der kostspielige Erwerb von Kompensationsfläche, und schliesslich ene Eingabe 'Freinacht-Bewilligung'

Im Jahr 1990? Keine Chance! Das neue Gesetz für Wirtschaftsbetriebe in der Stadt wurde erst Ende der 90er geändert.

Die Investitionen für den B-Flat-Klub kosteten mich etwa Fr. 2000.- (2 Feuerlöscher und die Bar aus billigem Holz).

Die Live-Musik hatte während 18 Monaten funktioniert!!

An was konnte das liegen?

Das erste B-Flat
01.01.1988 – Rechts war 1980-82 das Bazillus Musikrestaurant. Links der Eingang vom B-Flat I.
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01.01.1988 – Hier der Sous-Sol-Loft vor dem B-Flat I
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01.01.1988 – Da hat es viel Platz für eine Bar…
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01.01.1988 – Immer ab 23 Uhr Probelokal
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01.01.1988
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01.01.1988 – Viele Besuche von Musikern und Freunden. Auch vor dem B-Flat I wird getanzt.
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01.01.1988 – B-Flat ready for hot Sessions
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01.01.1988 – Hinten Links war der Eingang und Kasse
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01.01.1988 – Die Gäste ströhmen ab 23 Uhr rein
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01.01.1988 – Jam
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01.01.1988 – Who's the drummer?
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01.01.1988 – Wer war denn der Conga-Spieler?
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01.01.1988
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01.01.1988
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01.01.1988 – Dont' bite me!
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25.02.1989 – Und andere haben an diesem Abend auch gespielt.
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25.02.1989 – B-Flat Besucher schauen Boxfight mit Mike Tyson vs Frank Bruno
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25.02.1989 – Jojo verabschiedet sich von Sal Nistico
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10.03.1989
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1989
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25.06.1989
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07.07.1989
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